22.06.2020 Story

Das Brillenlabel YUN: zwischen Innovation und koreanischen Einflüssen

Mit dem südkoreanischen Brillenlabel YUN will ein Vater-Tochter-Gespann die traditionelle Augenoptikerbranche aufwirbeln. Dabei setzen sie auf ein besonderes Verkaufskonzept und außergewöhnliche Brillen-Designs.

Es gibt sie in allen möglichen Farben und Formen, sie heißen Willy, Madelaine oder Holmes. Die Brillen mit den charakteristischen Namen liegen auf hellen Holztischen und Regalen, drapiert wie exklusive Mode-Accessoires. Der weitläufige Laden ist eingerichtet im beliebten Industrial-Look, aus den Boxen tönt elektronische Musik. Direkt neben dem Verkaufstisch befindet sich ein mit Plexiglas abgetrennter Raum. Darin steht eine riesige Maschine aus Metall und Kunststoff, ein weißes Förderband windet sich durch die gesamte Raumhöhe.

Ein besonderes Brillen-Konzept mitten in Berlin

Der Brillenladen YUN in Berlin-Mitte sieht nicht so aus, wie man sich Brillenläden sonst vorstellt. Jiyoon Yun, die Gründerin und Inhaberin des Ladens, zeigt auf eine kleine Plastikbox, die über das Förderband gleitet. Darin befinden sich zwei Brillengläser, die gerade in einen metallischen Kasten verschwinden, in dem sich ein hochmoderner Schleifautomat befindet. „Unsere Kunden sollen sehen, wie ihre Brille hergestellt wird“, sagt Yun.

150 Brillen in zwanzig Minuten

Nur 20 Minuten später können die Kunden ihre Brille dann gleich mit nach Hause nehmen. In zwei Concept-Stores in Berlin und in Seoul bietet YUN jeweils 50 verschiedene Gestelle an, gefertigt aus hochwertigem Titan, Kunststoff oder Azetat. Dazu lassen sich unterschiedlich farbige Gläser zu mehr als 150 Kombinationen zusammenstellen. Designt hat Jiyoon Yun alle Brillengestelle selbst.

Der vollautomatische Linsenschleifautomat steht bei YUN mitten im Ladengeschäft. Die Maschine ist mit weiteren Geräten wie dem Augenmessgerät in einem System integriert, damit alle Daten gemeinsam und zeitgleich genutzt werden können.

Start-up mit besonderem Konzept

Mit dem besonderen To-go-Service hebt sich das Unternehmen von anderen Optikern auf dem europäischen Markt ab. YUN will das traditionelle Geschäft erneuern und lange Wartezeiten abschaffen. Ihre Strategie: Hochwertiges Design und technologische Innovation bringen Agilität und Schwung in eine sonst eher schwerfällige Branche. „Dabei hatte ich anfangs keine Ahnung vom Optikergeschäft“, erzählt die studierte Modedesignerin.

Sie habe einen ganz neuen Sinn für Funktionalität entwickeln müssen. „Ohne meinen Vater wäre ich völlig aufgeschmissen gewesen. Er musste meine ersten Entwürfe stark überarbeiten“, sagt Yun und lacht. Seit der gemeinsamen Gründung von YUN sind die 32-Jährige und ihr Vater Chul- Joo Yun Geschäftspartner. Eine naheliegende Entscheidung, denn alle von YUN verwendeten Gläser stammen direkt aus dem Mutterunternehmen Opticom, das sich auf die Herstellung hochwertiger Linsen spezialisiert hat.

Ein Start-Up – unabhängig von Zulieferern und Preiskämpfen

Die Firma hatte der Vater schon vor 20 Jahren gegründet. „Unsere Idee war es, uns mit einem Business-to-Costumer-Konzept unabhängig von Zulieferern und starken Preiskämpfen im Ausland zu werden“, erzählt Jiyoon Yun. Die vertikale Integration lieferte die besten Voraussetzungen für das neue Start-up: YUN konnte dank Opticom von einer jahrelangen Erfahrung und Vernetzung profitieren, zudem den Preis des Endprodukts niedrig halten und trotzdem eine hohe Marge erzielen. Eine hochwertige Brille bietet das Start-up so für einen erschwinglichen Durchschnittspreis von circa 100 Euro an.

Start-up mit klarer Aufgabenverteilung

Außerdem führte die Gründeridee zweier einfallsreicher Köpfe verschiedene Generationen einer Familie zusammen. „Mein Vater und ich sind ein bisschen wie Yin und Yang“, sagt Yun. „Ich bin für den kreativen Teil zuständig und kümmere mich um Design, Kommunikation und Marketing. Er verantwortet als langjähriger Unternehmer und Ingenieur die Geschäftsentwicklung, die Finanzen und die technische Entwicklung.“ Am Anfang hätten sie sich oft gestritten, weil sie unterschiedliche Vorstellungen von der Ausrichtung des Unternehmens hätten. Heute funktioniere es gerade deshalb sehr gut: „Er sieht die Zahlen, und ich sehe die Marke“, erzählt Yun.

Generationenübergreifendes Arbeiten als Erfolgs-Konzept

Gerade das generationenübergreifende Arbeiten scheint sich positiv auf das gemeinsame Unternehmen auszuwirken: Ihr Vater habe gelernt, die junge Generation als die Zukunft seines Unternehmens zu sehen. Das beinhaltete zum Beispiel auch, die neue Firma für modernes Contentmarketing zu öffnen. „Dank einer intensiven Kommunikation über soziale Medien bieten wir ein allumfassendes Markenerlebnis“, sagt die 32-jährige Koreanerin. „Das führt dazu, dass tatsächlich viele Kunden in den Laden kommen, die zuvor online auf uns gestoßen sind.“ Obwohl das Optikergeschäft also immer noch stark vom Offline-Verkauf abhänge, seien die sozialen Medien als Vermarktungsplattform gerade bei jungen Zielgruppen heute unumgänglich, betont die Designerin.

Die Digitalisierung ist im Optikergeschäft angekommen: Bei YUN sind die meisten Prozesse digitalisiert und lassen sich somit einfach organisieren.

Brillen-Konzept stößt auf positive Resonanz

Fünf Jahre nach der Gründung ist YUN zu einem stabilen mittelständischen Unternehmen mit zwei Standorten und 20 Mitarbeitern gewachsen. Neue Filialen in deutschen Großstädten sind geplant. Das Konzept scheint aufzugehen. „Ich empfinde Berlin als eine sehr gründerfreundliche Stadt mit einem internationalen, offenen Publikum und vernünftigen Lebenshaltungskosten“, sagt Jiyoon Yun. „Für mich war daher klar, dass ich unser erstes Ladengeschäft genau hier eröffnen wollte.“

Gerade die schnelle Walk-in-Methode stieß bei den Großstädtern, die nicht zwei Wochen auf ihre Brille warten wollen, auf positive Resonanz: Nach einem kostenlosen Sehtest muss der Kunde nur noch einen Rahmen aussuchen und die passenden Gläser auswählen. Insgesamt lagern bis zu 12.000 Gläser mit Korrekturen bis zu –15 Dioptrien in dem Berliner Laden.

Auch das moderne Design der Gestelle mit eindeutig koreanischen Einflüssen ist ein Alleinstellungsmerkmal von YUN – und für die namensgebende Designerin eine Herzensangelegenheit. „Die südkoreanische Ästhetik ist doch das, was mich von anderen europäischen Marken stark unterscheidet“, sagt sie. „Die Essenz der koreanischen Ästhetik ist für mich der Minimalismus.“ Aber nicht in jenem Sinne, in dem Europäer Minimalismus verstünden. In Südkorea sei dies vielmehr ein Geisteszustand, der die Schönheit der Leere zelebriere und in Kunst und Kultur eine große Rolle spiele. „Es geht darum, sich vorstellen zu können, was sich hinter der Leerstelle verbirgt, und seine Vorstellungskraft zu schulen“, erklärt Yun. „Gleichzeitig muss der Schaffende seine Imagination im Zaum halten. Alles folgt der Prämisse der Balance. Es darf nicht zu viel und nicht zu wenig sein.“ Diese Gestaltungsphilosophie habe sie jederzeit vor Augen, wenn sie ein neues Brillenmodell entwerfe, betont Yun.

YUN steht für die Identität des Brillenlabels

Der Respekt vor ihrer koreanischen Herkunft stecke aber nicht nur im Design, sondern auch in der gesamten Identität der Marke. Auch deshalb hätten sie den Namen YUN für das gemeinsame Unternehmen auserkoren: „YUN steht gleichermaßen für mich und für meinen Vater. Es steht für die Gegenwart und die Vergangenheit, für Technologie und Kreativität. Eine perfekte Balance.“

Ein Besuch im YUN-Store in Seoul

Auch hier bietet YUN jeweils 50 verschiedene Gestelle an. Dazu lassen sich unterschiedlich farbige Gläser zu mehr als 150 Kombinationen zusammenstellen.

Text: Matea Prgomet, Fotos: Siyoung Song, Oliver Milster